Skip to main content

Der Henker und Folterknecht

Das Amt des Vollstreckers entwickelte sich im 14/15.Jhdt. als sich mehr oder weniger einheitliche Gesetze durchsetzten wurden Hinrichtungen, wie bereits erwähnt, nicht mehr durch den Geschädigten oder der gesamten Hand durchgeführt. 


Diese Aufgaben sollte eine eigens zu diesem Zweck angestellte Person erledigen. Es war allerdings nicht einfach, jemanden zu finden, der für Geld wehrlose Menschen tötete, die unter Umständen sogar aus dessen eigenen Umfeld stammten. So wurde oft in erster Instanz ein Sträfling, der meistens aus nichtigen Gründen eingekerkert wurde, vor die Wahl gestellt, entweder das Amt des Vollstreckers zu besetzen oder im Kerker zu verschimmeln.

Eine andere Methode um an einen Scharfrichter zu kommen war folgende; man legte ein Richtschwert gut sichtbar irgendwo auf einen öffentlichen Platz und der erste der es berührte war der neue Henker. Dieser Beruf konnte nicht mehr gekündigt werden und übertrug sich auch auf seine Familie, die man Schelmensippe nannte, und auf seine Nachkommen.

 

Der Beruf wurde also weiter vererbt und in Mitteleuropa entstanden desshalb regelrechte Scharfrichter Dynastien. Anfänglich lautete die Berufsbezeichnung Fronbote, später Freymeister, Nachrichter und schliesslich Scharfrichter. Die Bezeichnung Henker war eher ein Schimpfwort als eine Berufsbezeichnung. Das Amt brachte ethliche Nachteile mit sich. Er durfte kein Grund erwerben, kein öffentliches Amt bekleiden, in der Kirche hatte er den hintersten Stehplatz und war beim Abendmahl als letzter an der Reihe. Ein Wirtshaus
durfte er nur betreten nachdem er sich zu erkennen gab und keiner der anwesenden Gäste etwas dagegen hatte und dann auch nur an einem eigens für ihn bereitgestellten Tischchen mit dreibeinigem Stuhl. Seine Krüge und Becher waren an der Wand angekettet als Zeichen, dass man dem Henker nicht einmal ein Trinkgefäss anvertrauen kann und zum zweiten, dass ja niemand aus dem Becher trinke, der vom Henker zum Mund geführt wurde. Der Wein wurde ihm über die Hand eingeschenkt, was für einen ehrlichen Bürger einer Beleidigung gleich kam.

Er durfte sich nur unter Seinesgleichen bewegen und nur einer Tochter eines anderen Scharfrichters oder Abdeckers ehelichen. War keine heiratswillige Scharfrichter Tochter auf dem damaligen Heiratsmarkt, hatte der Henker die Möglichkeit eine verurteilte Missetäterin zu begnadigen, wenn sie seine Frau würde. Allerdings ist überliefert, dass zahlreiche Frauen den Tod einer Heirat mit dem Henker vorzogen. Er musste auffällige Kleidung tragen, anfänglich waren die Farben Rot und Grün Pflicht, später graue Mäntel und oben spitz zulaufende Hüte. Mancherorts wurden Glöckchen unter seinem Mantelkragen befestigt, dass man ihn schon von weiten her hörte und ehrbare Bürger die die Strassenseite wechseln und ihm somit aus dem Weg gehen konnten. Schliesslich setzte sich dann ein schwarzer Gehrock mit Zylinder oder Melone durch. Vor einer Hinrichtung wurde ihm zwar bei misslingen Straffreiheit zugesichert, in der Theresiana ist aber zu lesen, man sollte ihn trotzdem hart bestrafen, falls er die Hinrichtung nicht ordnungsgemäss vollstreckte.

Der Scharfrichter wurde als unrein und unehrlich im höchsten masse betitelt, was wie eine ansteckende Seuche betrachtet werden muss aus der immerwährendes Unglück resultierte. Man durfte einen Henker also nicht berühren, zuwinken, zuprosten oder auch nur etwas anfassen, was zuvor vom Henker berührt wurde. Es sind Fälle bekannt die mit einem Selbstmord endeten nachdem ein ehrlicher Bürger stark angeheitert dem Henker zuprostete und somit alle Privilegien eines freien Bürgers verlor. Der Scharfrichter war an der Spitze dieses Makels, es gab aber noch zahlreiche andere Bevölkerungs- und Berufsgruppen die diese schändliche Bezeichnung erdulden mussten.

Dazu gehörte der Nachtwächter, der Totengräber, der Zöllner, der Abdecker, der Schmied, Müller, Leinenweber, sogar die Hebamme, Fahrende, Musikanten und Hexen. Auch diese Leute durften vom ehrbaren Volk nicht berührt werden und dies ist nicht nur aus der Luft gegriffen, denn man befürchtete diese Leute könnten aus einem Gebiet kommen wo die Pest grassierte und man wollte sich natürlich vor einer Ansteckung bewahren.


Die Aufgaben des Scharfrichters beschränkten sich nicht nur auf Folter, Strafen und Hinrichtungen. Er war auch der Tierarzt der sich mit Viehseuchen auskennen musste, zudem wirkte er als Hundefänger, Kloakenreiniger, Pestbeulenaufschneider, Hurenweibel, musste Selbstmörder und Tierkadaver entsorgen und arbeitete auch als Arzt und Apotheker der armen Leute. Medizinische Kenntnise konnte er sich durch die wiederherstellung der Gefolterten aneignen, ausserdem glaubte man dass die strafende Hand auch heilen könne und das düstere Umfeld seines berufes verstärkte diesen Glauben umso mehr.
Meistens waren die Scharfrichter Frauen mit der Apotheke betraut, da wurde aber kein Aspirin und dergleichen angeboten. Die Medizin und Amulette stammten vornämlich aus ihrem Wirkungskreis. Angeboten wurden, Hundefett (adeps canis), Armsünderfett der hingerichteten (axung hominis), Knochen vom Galgenplatz, getrocknetes Blut, Schädelmoos, Hirnsalz, ein Span vom Rad oder Galgen, ausgeschlagene Zähne böser Menschen, Galgenstrick stücke oder den Lappen der zum säubern des Richtschwertes verwendet wurde.

 

Mit dem Verkauf dieser Dinge verdiente die Henkerfamilie oft mehr Geld als mit den Bestrafungen. Das Amt hatte natürlich nicht nur Nachteile. Der Henkerfamilie wurde ein Haus zur Verfügung gestellt. Dieses befand sich meistens ausserhalb oder aussen an der Stadtmauer. Weil man nicht wollte, dass die Schelmensippe das Badehaus aufsuchte und sich im selben Wasser wie die Ehrbaren wuschen, wurde in henkershäusern die ersten Badezimmer in Privathäusern gebaut. Von jedem Marktstand durfte er kostenlos soviel nehmen wie er mit beiden Händen halten konnte. Die Verkäufer waren allerdings nicht sehr begeistert wenn der Henker oder seine Frau ihr Ware berührten und nachher niemand mehr etwas von ihrem Marktstand kaufen wollte. Man hat sich schliesslich auf eine Holzkelle mit geschnitzten Händen geeinigt um den Problem entgegen zu wirken. Die gewitzten Henker fertigten diese Schöpfkellen aber in Übergrösse, was abermals zu Diskussionen führte.